Moderation und Entscheidungsfindung in Gruppen

Wie man als Gruppe Entscheidungen treffen kann, ist eine wichtige Frage. Wer entscheidet worüber und welche Entscheidungsform macht für welches Themenfeld Sinn? Ob frühzeitig oder in der Mitte eines gemeinsamen Projekts, es kann immer helfen, die eigenen Entscheidungsmechanismen zu hinterfragen und ggf. neue auszuprobieren.

Das Diskutieren von Problemen, das Erarbeiten von Lösungen und das Treffen von Entscheidungen in Gruppen ist eine komplexe Angelegenheit – selbst in einer kleinen Gruppe. Wie eine Diskussion und die dazugehörige Entscheidungsfindung verläuft, hängt von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab:

Bei einem Treffen kommen Menschen mit ihren unterschiedlichen Charaktereigenheiten und Erfahrungen zusammen. Außerdem gilt zu beachten, dass Menschen unterschiedliche Aufmerksamkeitsspannen und bestimmte Weisen der Gesprächsführung bevorzugen. Gibt es vielleicht sogar bestimmte Rollen oder Hierarchien oder treffen Menschen gerade das erste Mal aufeinander?

Idealerweise ermöglicht ein gemeinsamer Erfahrungshorizont und eine in einer Gruppe gewachsene Struktur , dass Entscheidungen routinierter getroffen werden können. Allerdings kann auch das Gegenteil eintreten und Entscheidungen werden nur noch von einigen wenigen Gruppenmitgliedern getroffen. Daher kann es helfen, nicht nur zu Beginn einer Unternehmung die eigenen Entscheidungsmechanismen zu besprechen. Im Folgenden werden grundsätzliche Aspekte der Entscheidungsfindung genannt sowie Beispiele für mögliche Entscheidungsfindungsprozesse beschrieben.

Diskussion & Moderation

Den meisten Gruppenentscheidungen geht eine Diskussion voraus. Daher gilt: Umso besser die Diskussion, umso einfacher lässt sich eine Entscheidung treffen, die von möglichst vielen mitgetragen werden kann. Für einen konstruktiven Verlauf einer Diskussion ist eine gute Moderation zentral. Moderation ist ein vielschichtiges Thema. An dieser Stelle können daher nur einige zentrale Aspekte thematisiert werden. Weitere Informationen für eine gelungene Moderation und Arbeitsmaterialien finden sich weiter unten bei den Links.

Eine gute Moderation sorgt dafür, dass die Rahmenbedingungen eines Treffens klar sind. D.h., ein/e Moderator/-in stellt die Agenda für ein Treffen vor, erklärt und leitet zur Diskussion an, sammelt Redebeiträge und behält den Überblick über den Zeitrahmen eines Treffens. Wenn von der Gruppe gewünscht, dann achtet sie/er auch auf die Einhaltung der Spielregeln, auf die sich innerhalb der Gruppe geeinigt wurde. Dann kann es auch dazu gehören, Redebeiträge zu kürzen oder abzubrechen sowie bisher ungehörte Teilnehmer/-innen zum Reden zu ermutigen.

Generell ist es hilfreich, wenn die/der Moderator/-in die Agenda, den Zeitrahmen, aber auch die in einer Diskussion genannten Argumente festhält und für alle sichtbar auf einer Flipchart oder einem Poster visualisiert. Die Visualisierung hat zwei positive Nebeneffekte. Sie zeigt auf, was man alles in dem Treffen geschafft hat und sie hilft zu vermeiden, dass es zu Abschweifungen oder Wiederholungen kommt.

Wenn die/der Moderator/-in Teil der Gruppe ist, dann sollte sie/er deutlich machen, wenn er/sie eine persönliche Meinung vorträgt und wenn sie/er die Gruppe moderiert.

Entscheidungsverfahren

Im Idealfall findet nach der Diskussion die Abstimmung statt. Dafür gibt es eine Reihe von populären Entscheidungsverfahren:

Autoritätsentscheidung: Eine Person trifft die Entscheidungen für die Gruppe ohne die Gruppe vorher zu konsultieren.

Minderheitsentscheidung: Eine kleine Teilgruppe (weniger als die Hälfte), z.B. die Finanz-Gruppe trifft die Entscheidungen für alle.

Einfache Mehrheit: Es kommt zu einer Abstimmung und das Ergebnis mit den meisten Stimmen wird angenommen.

Double-Vote-Verfahren: Jede Person hat zwei gleichberechtige Stimmen, die er/sie ihren/seinen beiden bevorzugten Optionen gibt. Die Entscheidung mit den meisten Stimmen wird gewählt.

Konsens: Es wird so lange diskutiert und nach Ideen gesucht bis alle Beteiligten mit der Lösung leben können.

Kooperativer Konsens: Dieser Entscheidungsmechanismus ermöglicht eine differenzierte Abstimmung. Es stehen immer mindestens zwei Möglichkeiten zur Wahl. Es gibt also immer die Option: „Wir handeln nicht.“ Alle Entscheidungsmöglichkeiten werden in einer fünfstufigen Skala von -2 (Ablehnung) bis +2 (Gute Lösung) bewertet. Weitere Information hierzu gibt es hier .

Nick Osburn  schlägt eine Übungsaufgabe vor, um die Vor- und Nachteile verschiedener Entscheidungsmechanismen besser einschätzen zu können. Diese ist hier zu finden: Beschleunigung des Entscheidungsprozesses

Denn nicht jeder Entscheidungsmodus ist für jeden Themenkomplex gleich geeignet. Umso öfter die verschiedenen Entscheidungsmethoden in einer Gruppe geübt werden, umso einfacher können sie von der Gruppe selbstständig ausgewählt werden.

Fokus: Systemisches Konsensieren

Systemisches Konsensieren (SK) ist ein weiteres Entscheidungsfindungsprinzip, dass sich seit 2005 immer mehr verbreitet. Das SK-Prinzip soll dabei helfen, die Lösungskompetenzen und Entscheidungsfähigkeiten einer Gruppe zu erhöhen und Konflikte auf einfache Weise zu lösen. Ziel des Prinzips ist es, die tragfähigste Lösung zu finden – ohne die Gruppen in verschiedene Lager aufzuspalten, wie dies häufig im Rahmen der klassischen Mehrheitsentscheidung der Fall ist. SK kann unabhängig von der Gruppengröße, Organisationsform oder Gruppenkonstellation eingesetzt werden.

Beim Systemischen Konsensieren geht es nicht darum, eine Entscheidung anhand einer Mehrheit zu finden. Letztere hat nämlich den Nachteil, dass es dadurch zu Entscheidungen kommen kann, die zwar für die Mehrheit die präferierte Lösung darstellt, für einige in der Gruppe jedoch womöglich äußerst unerwünschte Ergebnisse liefert. Es bleiben demnach neben einigen Gewinnern auch viele Verlierer zurück. SK setzt darauf, viele Lösungsvorschläge zu erarbeiten und die Widerstände gegenüber diesen aufzudecken und zu messen. Es geht darum, den Lösungsvorschlag mit dem geringsten Konfliktpotential zu ermitteln – also der, der dem Konsens am nächsten kommt. SK ist eine systematische Weise alle Beteiligte zu fragen „Könnt ihr mit dieser Lösung leben?“ und gleichzeitig Blockaden auszuschließen.

In aller Kürze: Beim SK wird eine Bewertungsskale für den subjektiven Widerstand einer Person eingeführt. Diese reicht traditionell von 0 bis 10 Widerstands-Stimmen („W-Stimmen“).

  • 0 W-Stimmen = keine Widerstände
  • 10 W-Stimmen = der Vorschlag ist für mich unannehmbar
  • Zwischenwerte werden nach Gefühl vergeben.

Der aufsummierte Gruppenwiderstand zeigt auf, welche die unbeliebtesten Vorschläge sind. Die Widerstandsstimmen ermöglichen, die Probleme der unterschiedlichen Menschen mit den einzelnen Lösungsvorschlägen darzustellen und nicht nur für einen Vorschlag zu sein. Zentral ist, dass es immer auch die Nulllösung („Es wird nichts gemacht.“) gibt, für die mit abgestimmt wird.

SK ist ein Entscheidungssystem, dass auch für komplexe Fragestellungen genutzt werden kann. Hierfür wurde eine eigene Methodik  entwickelt.

Weitere Informationen über das Systemische Konsensieren finden sich unter http://www.sk-prinzip.eu/ (Deutsch) und weiter unten in den Links.

Wichtige Aspekte der Gruppenentscheidung

Bei offeneren Entscheidungsverfahren, wie z.B. dem Systemischen Konsensieren oder dem Konsens, hilft es einige Aspekte zu beachten oder sich als Gruppe auf ein anderes Entscheidungsverfahren zu verständigen.

Wie viel Energie möchte die Gruppe auf den Entscheidungsfindungsprozess verwenden?

Offene Entscheidungsformen, insbesondere das Konsensprinzip, braucht das Engagement aller Beteiligten, um zu funktionieren. Jede/r einzelne muss sich hier fragen: Was sind die eigenen Bedürfnisse? Welches Ziel verfolge ich? Welche Notwendigkeiten habe ich? Die Antworten auf diese Fragen muss jede/r ehrlich kommunizieren. Das heißt, gegenseitiges Vertrauen ist sehr wichtig.

Außerdem bedeutet es, Anderen in der Gruppe aufmerksam zu zuhören. Es sollte ein Dialog unter Gleichwertigen sein. Das beinhaltet auch, proaktiv nach Lösungen zu suchen, die alle miteinschließen. All das braucht viel Energie. Allerdings wirkt die gemeinsame Entscheidungsfindung auch gruppenbildend und schafft Akzeptanz für die Arbeit, die geleistet werden muss, um die Entscheidung umzusetzen.

Ist der Prozess, wie man als Gruppe zu einer Entscheidung kommt, allen verständlich?

Es ist von zentraler Bedeutung, dass alle Gruppenmitglieder die Struktur, wie es zu einer Entscheidung kommt, verstehen. Eventuell gibt es auch gruppenspezifische Gruppenvereinbarungen oder Handzeichen, die man Neueinsteiger/-innen neben dem Entscheidungsprozess erklären muss.

Gibt es ein gemeinsames übergeordnetes Ziel?

Es empfiehlt sich am Anfang einer gemeinsamen Unternehmung, sich die Zeit für die Erarbeitungen von gemeinsamen Visionen zu nehmen. Von diesen kann sich die Gruppe bei schwierigen Diskussionen leiten bzw. motivieren lassen.

Wer sollte die Entscheidung treffen?

Im Idealfall sind alle Personen bei der Entscheidungsfindung anwesend, die die Konsequenzen der Entscheidung tragen werden. Insbesondere wenn nicht alle Mitglieder zu allen Gruppentreffen kommen können oder wollen, dann sollte man sich im Vorfeld Gedanken machen, wer von welcher Entscheidung betroffen ist und ggf. flexible Wege der Partizipation finden. Das Miteinbeziehen von abwesenden Gruppenmitglieder kann allerdings den Entscheidungsprozess verkomplizieren.

Ist die Fragestellung allen klar?

Die Fragestellung einer Problematik kann vielleicht schon gewisse Lösungen ausschließen oder andere bevorzugen. Daher sollte sich zu Beginn einer Diskussion darüber verständigt werden, wie die gemeinsame Fragestellung lautet. Ggf. kann die Formulierung der Fragestellung auch die/der Moderator/-in übernehmen?

Reicht die Zeit für die Entscheidungsfindung?

Es kann bei der Entscheidungsfindung helfen, die Themendiskussion zeitlich zu begrenzen. Wenn man dies tut, sollte man im Vorfeld darüber sprechen, was passiert, wenn keine Entscheidung getroffen werden kann. Soll einfach weiter diskutiert werden? Kann die Entscheidung vertagt werden? Für wen hat es negative Auswirkungen, wenn keine Entscheidung getroffen wird? Diese Fragen können natürlich auch in dem Moment gestellt werden, wenn das Zeitlimit erreicht ist.

Was passiert, wenn eine Entscheidung getroffen wurde?

Jede Entscheidung sollte in einem Protokoll  festgehalten werden, damit man in der Zukunft die Möglichkeit hat, die Entscheidung noch einmal nachvollziehen zu können.

 

Geschichten des Gelingens

Die Gruppe TransitionHaus Bayreuth  hat sich bald nach ihrer Gründung dazu entschlossen, mithilfe des Systemischen Konsensieren ihre Entscheidungen zu treffen. Nach einem ersten Ausprobieren wurde schnell klar, dass dieser Mechanismus vielversprechend ist. Die alltägliche Praxis zeigte allerdings auch, dass das SK-Prinzip sich manchmal konterintuitiv und in seiner Anwendung etwas sperrig anfühlt. Die Gruppe empfand, dass das Systemische Konsensieren einen hohen Anspruch an die moderierende Person stellt und eine sehr technische Weise ist, Diskussionen zu führen. Außerdem ist es schwer, das Systemische Konsensieren an Neueinsteiger/-innen zu vermitteln.

Daher organisierte die Gruppe ein Seminar zum Systemischen Konsensieren, zu dem sie die erfahrenen SK-Trainer/-innen Marcus Castro und Adela Mahling  einlud, um mit ihnen das Entscheidungsfinden in einer Gruppe zu trainieren. Dieses Seminar wurde durch das bundesweite Förderprogramm Demokratie Leben  finanziert. Die Gruppe hat sehr früh gemerkt, dass die Entscheidungsfindung in einer Gruppe von Gleichberechtigen eine ungewohnte Aufgabe ist und dass man sich nicht scheuen sollte, Unterstützung von außen zu holen.