Die selbstorganisierte Zivilgesellschaft

Das SELFCITY-Projekt führt eine neue Art der kollektiven Governance in Zeiten des Klimawandels ein.

Der Raum lokal eingebundener und erzeugter Antworten auf den Klimawandel bietet einen fruchtbaren und herausfordernden Kontext, in dem der Kontakt zwischen etablierten Formen der Governance und Wissen sowie lokal generierte Formen der Selbstorganisation eingehend untersucht werden kann. Das Thema Klimawandel, welches im Globalen Norden vor allem durch staatliche und marktorientierte Antworten und damit verbundenen Formen der Steuerung geprägt ist, ist ein Bereich, in dem selbstorganisierte, lokale Gruppen Initiativen entwickelt haben, um lokale Implikationen und Auswirkungen des Klimawandels zu adressieren.

Auf vergleichender Forschung basierend, untersucht das SELFCITY-Projekt wie raumbezogene Formen von Selbstorganisation in Relation zu bereits existierenden Formen von Regierung, Wissensproduktion und verorteter, lokaler Aktion stehen. Auf Fallstudien über selbstorganisierte, lokale Gruppen aus Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien basierend und gleichermaßen Themen der Nachhaltigkeit und Klimawandel anvisierend, erforscht das Projekt eine Reihe von Antworten zum Klimawandel, die unterschiedliche Level und Formen von „Organisation“, Kollaboration, sowie Möglichkeiten zur Anbindung an bereits etablierte Regierungsformen beleuchten.

Hintergrund

Wir argumentieren nicht, dass staatliches Engagement, um sich „globalen Themen“ anzunehmen, obsolet geworden sind, so wie es auch Klimainitiativen gezeigt haben. Zum Beispiel wurden seit Rio 1992 (inter-)nationale Top-Down-Ansätze zu globalen ökologischen Problemen (wie CO2-Emissionen, Spritverbrauch, Erderwärmung, etc.) durch den Gebrauch staatlicher Formen von Regulierungen sowie marktbasierter Anreize entwickelt. Jedoch tendierten diese dazu, lokale Gemeinschaften nicht einzubeziehen. Selbst auf der städtischen Ebene waren Initiativen oft von Eliten geleitet und haben darin versagt, sich für Bürger einzusetzen und sie gleichermaßen zu mobilisieren. Daher haben diese Ansätze und ihre damit verbundenen Formen von Regierungsführung ihre Grenzen, wenn es zu den lokalen Implikationen und ökologischen Problemen für Gemeinden und Bürgern kommt. Denn diese streben danach, sofortige Veränderungen in Lebensstilen vorzunehmen und alternative, nachhaltigere und weniger ausbeuterische Lösungen zu alltäglichen Fragen wie Ernährung, Energieverbrauch oder Mülltrennung zu entwickeln.

Das SELFCITY-Projekt hat Evidenzen dafür gefunden, dass das Aufblühen von selbstorganisierten Initiativen, z.B. wie nachhaltige Energie und Ernährungsversorgung, eine Reaktion auf die wahrgenommenen Grenzen von marktlogisch oder staatlich forcierten Ansätzen zu Klimawandelpolitiken ist. Wir untersuchten eine Bandbreite an „grüner Initiativen“, die sich in unterschiedlichen Kontexten entwickelt haben; rangierend von einer „Transition Town“, einem „Transition House“, zwei Energie- Kooperativen, ein freies Café, eine Klimawandelgruppe bis hin zu einem ökologischen Garten. Alle haben jedoch unsere Arbeitsdefinition von Selbstorganisation getroffen und streben danach, lokale relevante Wege zu entwickeln, um Klimawandel zu fokussieren und gleichzeitig nachhaltige Lebensstile zu führen. Deshalb kommen diejenigen, die involviert sind, nicht nur einfach zusammen, um Initiativen zu entwickeln, sondern auch um ein aktiver Teil lokaler organisierten Aktivitäten zu werden, und um somit den Klimawandel zu adressieren.

Von partizipativer Steuerung zur Selbstorganisation

Das Governance-Konzept zeigt einen Weg auf, soziale Aktion durch vertikale, horizontale und kooperative Mechanismen in Kontrast zu eher traditionellen, bürokratischen bzw. hierarchischen und marktbasierten Formen zu organisieren. Eine zentrale Frage ist: „Wie ist Selbstorganisation mit Governance verknüpft?“ Selbstorganisation als ein Mittel von „bottom up“ Aktivitäten betont die Interaktion und Diskussion zwischen den AkteurInnen, was zur Identifizierung von relevanten lokalen Themen und der Formierung von begleitenden Problemdefinitionen führt, die wiederum die bestehenden Governance-Formen herausfordern, unterlaufen oder erweitern. Sie bietet alternative Möglichkeiten, „etwas zu tun“, und möglicherweise neue Wege, um „von unten zu regieren“, lokale Kontexte zu reflektieren und deren Verständnis praktischer Probleme besser und nachhaltiger zu verstehen.

Für SELFCITY ist Wissen entscheidend. Das Projekt beschäftigte sich mit den Prozessen des Verstehens, der Entwicklung und Verbesserung von Handlungskompetenzen und Entscheidungsprozessen. Dazu gehören auch Vergleiche und Bewertungen von Handlungsformen sowie Urteile und Werte in Bezug auf diese Bewertungen. Wissen bezieht sich immer auf soziale Prozesse der kommunikativen Interpretation, deren Ziel es ist, ein gemeinsames Verständnis dafür zu entwickeln, wie die Fähigkeit, „Dinge zu tun“ und zwar auf nachhaltige und klimafreundliche Weise, verbessert werden kann. Die Literatur hat in zunehmendem Maße heterogene Formen des Wissens anerkannt, die von akademischen bis hin zu praktischen und lokalen sowie „verkörperten“ Formen des Wissens reichen.

Was jedoch als Wissen und dessen Verwendung gilt, ist nicht neutral und wertfrei. Dies führt zu Einschränkungen bei der Wissensproduktion und dazu, wie Wissen selektiv genutzt (oder nicht genutzt) wird. In bestimmten Situationen “mobilisieren” die Akteure ihr Wissen und das Wissen, welches sie für relevant halten, indem sie eine bestimmte Praxis wählen, um in einem spezifischen Kontext das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Selbstorganisierende Ansätze neigen dazu, eher lokale, praktische, alltägliche Formen von Wissen und Handlungsoptionen zu bevorzugen, die konkreter, effektiver und für lokale Situationen relevant sind.

Die Motivationen für lokale kollektive Aktionen verstehen

Basierend auf unserer Forschung fanden wir eine Vielzahl von verschiedenen, sich oft überlappenden Gründe, warum Menschen sich in selbstorganisierten Gruppen zusammenfanden:

  • Einen Sinn für “Zusammengehörigkeit” und Kollektivität entwickeln, der für die meisten Initiativen ein eigener Wert an sich darstellt. Die Schaffung eines “Ortsgefühls” spielt daher für eine Mehrheit der untersuchten Initiativen eine zentrale Rolle;
  • Lokales Wissen, das durch jede Erfahrung und durch “Lernendes Tun” erzeugt wird, wird als angemessener für die Probleme des (lokalen) Klimawandels und nachhaltiger Lebensstile angesehen als andere (abstrakte) Formen des Wissens;
  • Viele experimentieren mit Praxen, die langfristig unsere Autonomie sichern wollen. Zum Beispiel wollten Mitglieder einer landwirtschaftlichen Initiative autonom von industrieller Agrarproduktion existieren. Darüber hinaus wurde die „Zusammenarbeit“ und der kollektive Dialog als ein positives Ergebnis an sich betrachtet, das ohne klare Zielorientierung auskommt;
  • “Nachhaltigkeit praktizieren” ist für die Gruppen wichtiger – sie sind primär darauf ausgerichtet, Dinge zu tun. Dies schließt jedoch nicht aus, darüber nachzudenken, was sie getan haben und “wie sie es besser machen können”; und
  • Sie suchen nach neuen Wegen, die für lokale Gemeinschaften relevant sind, um sich selbst zu organsieren. Dies geschieht durch einen “beratenden“ Versuchs-und-Irrtum-Prozess. Darüber hinaus schätzen sie eine Form der Regierungsführung, die kollaborativ, nicht-hierarchisch und inklusiv ist.

Policy-relevante Erkenntnisse

  • Viele Gruppen betrachteten die aktuelle Klimaschutzpolitik als abstrakt oder als zu “weit weg” (“abgehoben“) von ihren praktischen Alltagserfahrungen, um für sie von Nutzen zu sein;
  • Während wissenschaftliches Wissen über den Klimawandel nicht per se abgelehnt wurde, wurde mehr Wert auf die Entwicklung von Wissensformen gelegt, die in lokalen Produkten verankert und relevant sind – d. h. die durch die alltäglichen Erfahrungen der Menschen und das Verständnis der Auswirkungen des Klimawandels vor Ort erzeugt werden;
  • Im Projekt tendierten die besser organisierten und professionalisierten Gruppen zu einer klareren, hierarchischer ausgerichteten Organisationsstruktur und einer Konzentration auf das Erreichen bestimmter Ziele durch konkrete Aufgabenstellungen. Sie waren weniger damit beschäftigt, alternative Lebensweisen zu kreieren; vielmehr haben sie versucht, bestimmte Nischen zu entwickeln (z.B. lokale-dezentrale Energieerzeugung als eine Alternative zum „Energie-Monopolismus“);
  • Viele Gruppen erkannten die Notwendigkeit, dass sie eine Vision für ihre zukünftige Entwicklung entwickeln und entwickeln müssen, benötigten dafür aber z.T. Unterstützung von außen;
  • Die meisten Gruppen waren sich auch bewusst, dass sie dazu neigten, mit “Gleichgesinnten” zu sprechen und wünschten sich einen Austausch mit einer breiteren gesellschaftlichen Sphäre sowie Wege zu finden, diese in “klimafreundliche Aktivitäten” miteinzubeziehen, die in ihren Alltag integriert werden könnten. Wiederum könnte Unterstützung von außen helfen, dies zu tun; und
  • Eine Reihe von Gruppen wollte sich mit anderen Gruppen vernetzen, zunächst auf lokaler Ebene und dann vielleicht auf weiteren skalaren Ebenen. Externe Unterstützung ist sinnvoll darüber, wie dies zu tun ist, wurde ebenfalls als wünschenswert angesehen.

Beitrag in englischer Sprache publiziert: http://edition.pagesuite-professional.co.uk/html5/reader/production/default.aspx?pnum=212&edid=c780812e-ef43-4ea4-bf5a-7c8f0cfe1e7d&isshared=true